Obwohl die Raten für routinemäßige Säuglingsbeschneidung in den USA stark zurückgegangen sind – vor einigen Wochen wurde von einem Rekordtief von nur 33 % im Jahr 2009 berichtet – gehört sie für viele amerikanische Mediziner nach wie vor automatisch zur Geburt eines Jungen dazu. Deswegen ist es für viele gegen Beschneidung eingestellte Eltern eine Horrorvision, dass der neugeborene Sohn im Krankenhaus ohne ihre Einwilligung und gegen ihren Willen beschnitten wird.
Dieser Alptraum ist jetzt für eine Familie aus Florida Wirklichkeit geworden.
Vera Delgado und ihr Sohn Mario
Mario Viera musste nach seiner Geburt im South Miami Hospital zehn Tage auf der Kinderintensivstation verbringen. Seine Mutter Vera Delgado hatte den Ärzten mehrfach gesagt, dass sie nicht will, dass Mario beschnitten wird: “Jedes Mal, wenn der Arzt fragte, ob wir ihn beschneiden lassen wollten, sagten wir nein. Immer. Die ganze Zeit sagten wir nein, weil wir der Meinung waren, dass es eine unnötige Operation für ihn wäre.”
Dennoch wurde Mario an seinem achten Lebenstag die Vorhaut amputiert.
Wer sich nun wundert, dass Ärzte Neugeborene beschneiden, die so krank und instabil sind, dass sie auf der Intensivstation liegen müssen: Das ist in den USA vollkommen normal. Es werden – mit Einverständnis der Eltern – sogar Frühgeborene beschnitten, die unter 2 kg wiegen.
Wer sich nun noch einmal wundert, dass Eltern, deren Neugeborenes so krank und instabil ist, dass es auf der Intensivstation liegen muss, einer Beschneidung zustimmen: Auch das ist in den USA vollkommen normal. Eltern sehen es als eine Art Meilenstein an, dass es ihrem Baby gut genug geht, um beschnitten zu werden. Manchmal geht es den Babys allerdings nicht gut genug dafür. Erst Anfang Oktober starb ein herzkranker Säugling nach seiner Beschneidung. Die Mutter hat inzwischen allerdings alle Hinweise auf die Beschneidung aus ihrem Blog gelöscht.
Vera Delgado war am Boden zerstört. Sie habe diesen und den nächsten Tag mit Weinen verbracht. “Jede Mutter will doch ihr Kind beschützen, und ich konnte mein Kind in diesem Moment nicht beschützen.”
Das Krankenhaus räumt den Fehler ein: “Die Beschneidung des Babys war ein unglücklicher Fehler aufgrund einer fehlgedeuteten Einwillungserklärung. Sobald wir den Fehler entdeckt hatten, wurde die Familie vom Arzt und den Krankenschwestern darüber informiert, was geschehen war.”
Die Mutter schildert die Ereignisse allerdings etwas anders. Am achten Tag habe sie in Marios Krankenbettchen das Schmerzmittel Tylenol entdeckt: “Ich fragte die Krankenschwester, wofür das Tylenol sei, und sie antwortete mir, dass es für die Schmerzen aufgrund der Beschneidung sei. Sie öffnete die Windel und wir sahen all das Blut, und wir sahen alles, und ich begann zu weinen.”
Die Klinik versichert außerdem: “Wir haben sofort neue Prozesse implementiert, um sicherzustellen, dass ein solcher Fehler nicht noch einmal geschieht. Der Eingriff selbst wurde nach ordnungsgemäßen chirurgischen Standards durchgeführt und das Baby erlitt keinerlei Komplikationen. Dennoch tut es uns allen sehr leid, dass dies geschehen ist.”
Vera Delgado gibt sich mit dieser Entschuldigung glücklicherweise nicht zufrieden. Zusammen mit ihrem Anwalt Spencer Aronfeld wird sie die Klinik wegen Körperverletzung auf mehrere Millionen Dollar verklagen.
Spencer Aronfeld sieht den Eingriff als Verstoß gegen die Menschenrechte mit lebenslangen Folgen an und erläutert: “Das Krankenhaus hat nicht nur einen medizinischen Kunstfehler begangen. Was sie getan haben, war Körperverletzung, weil sie diesen Jungen unbefugt angefasst haben. Hier geht es darum, dass ein Arzt ein Dokument unterschrieben hat, auf dem stand, dass er Gespräche mit den Eltern geführt hat, die nie stattgefunden haben.”
Vielleicht wird der Fall Mario Viera sogar noch weitreichendere Folgen haben: “Marios Gesetz” wird diskutiert. Es würde routinemäßige Säuglingsbeschneidung grundsätzlich verbieten, auch mit Einwilligung der Eltern. Ob das vorgeschlagene Gesetz allerdings Kinder wirksam schützen kann, ist fraglich. Denn zum einen sollen religiöse Beschneidungen ausgenommen sein (ist Beschneidung mit religiösem Hintergrund auf einmal keine Körperverletzung mehr?) und zum anderen sollen selbstverständlich “medizinisch notwendige” Beschneidungen erlaubt bleiben (und auch wir in Deutschland wissen ja, wie leicht eine “medizinische Notwendigkeit” herbeigezaubert werden kann).
Dennoch, es wäre besser als die momentane Situation.