Die Holländer haben die erfolgreicheren Fußballer und die ethischeren Ärzte, die Norweger die schnelleren Skiläufer und die mutigeren Medizinethiker.
Vor einem Vierteljahr gab die Königliche Ärztevereinigung der Niederlande ein Positionspapier zum Thema Jungenbeschneidung heraus, in dem sie nicht-therapeutische Beschneidung männlicher Minderjähriger als Verletzung der Rechte des Kindes auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit einstuften und klar ablehnten.
Anfang August haben die Norweger nachgezogen:
Die Kinder würden unnötig Schmerzen und Komplikationsrisiken ausgesetzt, meint der Vorsitzende des Rates für Medizinethik und Pädiatrieprofessor Trond Markestad. Beschneidung gesunder Kinder sei daher wider die medizinische Ethik.
Jan Helge Solbakk, Professor für Medizinethik an zwei norwegischen Universitäten, schließt sich ihm an: Jungenbeschneidung sei ein Übergriff genau wie die Beschneidung von Mädchen. Daher müsse auch sie verboten werden.
Ob deutsche Ärzte und Medizinethiker irgendwann den Anschluss an die humanistisch wegweisende Einstellung ihrer europäischen Kollegen schaffen? Oder haben sie zu viel Angst vor den unvermeidlichen Reaktionen der betroffenen Religionen?
Denn obwohl in Norwegen jedes Jahr nur mehrere hundert norwegische Jungen aus nicht-medizischen Gründen beschnitten werden – eine Zahl, die im Vergleich zu der, die für Deutschland anzunehmen ist, fast lächerlich niedrig ist – wurden natürlich auch dort die üblichen, reflexartig abwehrenden Argumente vorgebracht:
Rolf Kirschner, Oberarzt an einer Frauenklinik und früherer Leiter der Mosaischen Glaubensgemeinschaft, hält die vorgebrachte Kritik für absurd und beschwört den Respekt vor tausendjährigen Traditionen. Er verstehe auch nicht, warum ausgerechnet dieses Thema so häufig aufgegriffen werde, während Kinderrechte doch auf so viele andere Weisen brutal verletzt würden.
Wäre interessant zu erfahren, an welche anderen Kinderrechtsverletzungen Herr Kirschner dabei denkt. Irreversible, gezielte Verstümmelung des Körpers dürfte von wenigen Tatbeständen übertroffen werden und keiner davon dürfte von Strafverfolgung freigestellt sein…
Auch Shoaib Sultan als Vertreter des Islamischen Rates zeigt sich schockiert über den Vorstoß. Jungenbeschneidung werde immerhin von führenden Gesundheitsorganisationen empfohlen und sei daher nicht mit Mädchenbeschneidung zu vergleichen. Sie sei eine wichtige religiöse Tradition für Muslime und Juden und Eltern hätten das Recht, ihre Kinder in ihrem Glauben zu erziehen. Alles andere sei ein Angriff auf die Religionsfreiheit. Dass der Eingriff irreversibel sei, sei kein relevantes Argument.
Ja, das wussten wir doch schon immer: Unsere Kinder gehören uns, das sind die einzigen Menschen, mit denen wir machen können, was wir wollen. Ob beschneiden (Jungen), genitalverstümmeln (Mädchen), zwangsverheiraten, prügeln, gehirnwaschen, von der Außenwelt fernhalten oder vollkommen verängstigen. Hauptsache, wir tun es nicht aus irgendeinem unbedeutenden Grund, sondern ausschließlich wegen der Religion und tausendjähriger Traditionen.
Oder?