Aygül Özkan, frisch ernannte CDU-Sozialministerin von Niedersachsen, hat dieser Tage mit ihrer – nach Protesten ihrer Parteifreunde und Rückpfiff seitens Ministerpräsident Christian Wulff zurückgezogenen – Forderung, Kruzifixe aus staatlichen Schulzimmern zu entfernen, für Wirbel gesorgt.
Man mag mit Fug und Recht die Vermutung anstellen, dass es sich hierbei um einen mittelmäßig gelungenen PR-Gag handelt, der Frau Özkan schlagartig bundesweit eine Bekanntheit verschafft hat, die sie mit jahrelanger Fleißarbeit niemals hätte erlangen können. Fakt ist dennoch, dass wieder einmal eine Diskussion ausgelöst wurde, wieviel Religion dem Bürger zugemutet werden darf.
Haben Kruzifixe, streng orientiert an laizistischen Prinzipien, in staatlichen Schulen nichts verloren? Oder müssen Anders- und Ungläubige das Symbol der christlichen Prägung dieses Landes ertragen? Sollen die Kruzifixe hängenbleiben, nebendran aber Davidstern, Halbmond und ein Tentakel des Fliegenden Spaghettimonsters montiert werden? Gehören Kopftücher aus staatlichen Schulen verbannt? Oder muss eine staatliche Schule garantieren, dass alle religiösen Symbole getragen werden dürfen?
Passenderweise hat gerade jetzt das belgische Parlament ganz unauffällig – während Frankreich noch diskutiert – ein Verbot der Burka in der Öffentlichkeit erlassen. Nicht als gezieltes Burkaverbot, sondern als Verbot des Tragens von Kleidungsstücken, die eine Identifizierung der Person im öffentlichen Raum unmöglich machen. Auch wenn angezweifelt wird, dass das Verbot vor dem belgischen Staatsrat oder gar dem Europäischen Menschenrechtsgericht Bestand haben wird, ist die Empörung vorhersagbar groß. Sogar Amnesty International reagierte blitzschnell mit der Erklärung, dass ein Burkaverbot die Grundrechte von Frauen verletze, die Ganzkörperschleier als Ausdruck ihrer Identität und ihres Glaubens tragen. Einschränkungen von Menschenrechten müssten immer proportional zu einem gerechtfertigten Ziel sein, was in diesem Fall nicht gegeben sei.
Freiheit für alle Religionssymbole oder Unterdrückung aller Religionssymbole? Vielleicht wäre es ja sinnvoll, dort die Grenze zu ziehen, wo tatsächlich und nachweislich andere Menschen geschädigt werden? Doch was ist mit Frauen, die unter Kopftuch und Burka gezwungen werden? Kann man ihnen mit einem Verbot überhaupt helfen oder schadet es ihnen nicht vielmehr?
Es gibt wohl keine einfachen Antworten auf all diese Fragen, außer vielleicht Aufklärung, Bildung und Stärkung aller potentiell Betroffenen, damit diese in die Lage versetzt werden, selbst zu entscheiden und sich gegebenenfalls zur Wehr zu setzen.
Vergleichsweise einfach erscheint dagegen die Antwort auf eine Frage, die auch in dieser Debatte wieder einmal nicht gestellt wird und die auch nicht auf der Agenda von Amnesty International aufzutauchen scheint: Bedeutet Religionsfreiheit auch, dass Menschen den Körper eines anderen Menschen mit einem höchst realen und höchst irreversiblen Symbol ihrer Religion kennzeichnen dürfen?
Aygül Özkan hat übrigens einen siebenjährigen Sohn. Wie sie es wohl mit der real praktizierten Religionsfreiheit in ihrem eigenen Haushalt hält?