Programme zur Verteilung von antiretroviralen Medikamenten in Afrika werden aus Geldmangel zusammengestrichen, während nach wie vor Geld in die sich als immer sinnloser und gefährlicher erweisende Strategie “Beschneidung gegen AIDS” gepumpt wird. Es ist höchste Zeit, umzudenken und umzuschwenken! Das Wohl und Wehe Afrikas hängt davon ab. Aber ob die Entscheidungsträger und Geldgeber bereit sein werden, ihren Fehler zuzugeben bzw. von dem offenbar liebgewonnenen Steckenpferd Beschneidung abzulassen?

Auf einer internationalen AIDS-Konferenz in Kapstadt, Südafrika, schlugen Experten und humanitäre Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen kürzlich Alarm: Die Ausgabe von antiretroviralen Medikamenten für HIV-Infizierte und AIDS-Kranke in Afrika ist aufgrund der Weltwirtschaftskrise ins Stocken geraten. Das Risiko, dass Patienten sterben, bevor sie Medikamente erhalten, wird größer. Andere müssen die bereits begonnene Therapie unterbrechen, was ebenfalls fatale Folgen haben kann.

Für die Erforschung, Promotion und Durchführung von Beschneidung als HIV-Prophylaxe scheint aber noch genug Geld vorhanden zu sein, wie immer neue Jubelberichte über Studien und Beschneidungsprogramme belegen.

Dabei hat die bei objektiver Betrachtung ohnehin schon wackelige Hypothese, dass Beschneidung einen wertvollen Beitrag zum Kampf gegen die HIV-Epidemie in Afrika leisten kann, in den letzten Wochen einige schwere Schläge einstecken müsssen:

Am 16.07.2009 berichtete die BBC von einer in der Fachzeitschrift “Lancet” neu veröffentlichten Studie, die nicht nur gezeigt hatte, dass Beschneidung des Mannes seine Partnerinnen nicht vor HIV-Infektion schützt, sondern dass das Infektionsrisiko von Partnerinnen beschnittener Männer sogar höher ist. Wendet man die gleiche Mathematik an, die den “60 % Schutzwirkung” der männlichen Beschneidung zugrundeliegt, ist ihr Infektionsrisiko sogar um 50 % erhöht. Die Studie wurde wegen “Sinnlosigkeit” abgebrochen.

Einige Tage später, am 21.07.2009, berichtete die Time ebenfalls über eine Studie in “Lancet”, die ergeben hatte, dass homosexuelle Kontakte in Afrika einen wesentlich größeren Beitrag zur Verbreitung von HIV leisten, als man viele Jahre glaubte. Aufgrund von Intoleranz und teilweise auch Illegalität bis hin zur drohenden Todesstrafe wird die Homosexualität jedoch geheimgehalten – und die Männer sind daher nur sehr schwer mit Aufklärungsprogrammen und Hilfsmaßnahmen zu erreichen.

Zur Erinnerung: Der ermittelte Schutzeffekt der männlichen Beschneidung bezieht sich ausschließlich auf den Mann bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr. Trotz eifriger Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, auch für homosexuelle Kontakte eine Schutzwirkung zu belegen.

Beschneidung lässt somit einen bedeutenden Infektionspfad außenvor.

Und schließlich veröffentlichte der Informationsdienst aidsmap die Ergebnisse einer Modellierung von verschiedenen Präventionsmaßnahmen in Afrika. Für Beschneidung wurde dabei ein Schutzeffekt von 53 % zugrundegelegt – abgeleitet aus den drei bekannten Studien zur Übertragung von der Frau auf den Mann und ohne Berücksichtigung des genannten höheren Infektionsrisikos der Partnerin und der bedeutenden Rolle homosexueller Kontakte.

Es stellte sich heraus, dass Kondome und Versorgung mit antiretroviralen Medikamenten, einzeln oder in Kombination, neue HIV-Infektionen bis zum Jahr 2025 um 64-95 % reduzierten. Die Sterblichkeit ging um 10-34 % zurück. Beschneidung reduzierte die Infektionen dagegen nur um 3-13% und die Sterblichkeit um 2-4%. Die Autorin der Studie erklärte, dass Beschneidung überschattet werde, wenn sie mit den anderen Maßnahmen kombiniert werde und sie überrascht gewesen seien, wie gering der Effekt der Beschneidung gewesen sei.

Es ist anzunehmen, dass er unter Berücksichtigung der neuen Forschungsergebnisse noch geringer ist – wenn er nicht sogar ins Negative umschlägt.

Der logische Schluss aus all diesen neuen Erkenntnissen liegt eigentlich auf der Hand:

Männliche Beschneidung ist bestenfalls wirkungsneutral, im schlimmsten Fall wird sie die Verbreitung der Krankheit beschleunigen. Weiter Geld in ihre Erforschung und Verbreitung zu stecken, ist sinnlose bis gefährliche Verschwendung. Alle Kräfte, alle Energie und alle Finanzressourcen sollten in Maßnahmen fließen, die erwiesenermaßen helfen und keine Gefahren bergen: Aufklärung, Kondome, Medikamente.

Vielleicht sollten Ärzte ohne Grenzen bei den großen US-Geldgebern für Beschneidung anklopfen? Wie der “Bill & Melinda Gates Foundation” die bereits zahlreiche Studien finanziert hat und kürzlich 50 Millionen Dollar für Beschneidungsprogramme in Swasiland und Sambia zugesagt hat.

Vermutlich wäre dies aber verlorene Liebesmüh’, denn wie die BBC im März diesen Jahres so treffend einen britischen Experten für sexuelle Gesundheit zitiert hat: Die USA seien besessen davon, dass Beschneidung die Möglichkeit zur Kontrolle sexuell übertragbarer Krankheiten ist. Eindrucksvoll belegt wird dieser Wahn durch den noch in derselben “Lancet”-Ausgabe (!) wie die erstgenannte Studie publizierten Kommentar, in dem US-amerikanische Ärzte argumentieren, dass Beschneidung trotz des erhöhten Risikos für Frauen in Afrika etabliert werden sollte.

Bleibt zu hoffen, das wenigstens Europa aufwacht und endlich das richtige tut.

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